In Deutschland schauen viele auf die Produkttests der Stiftung Warentest, bevor sie sich ein neues Notebook, Smartphone oder Staubsauger anschaffen. In den USA übernimmt diese Rolle die Plattform „The Wirecutter“. Mit tiefgründigen Produkttests verzeichnet Gründer Brian Lam fast neun Millionen Visits im Monat. Doch Werbung sucht man auf der Seite (fast) vergeblich – The Wirecutter finanziert sich über Affiliate-Links und verdient damit Millionen. Wir zeigen, wie das geht.
Vor fünf Jahren startet Brian Lam sein Projekt The Wirecutter, um Produkte in den USA auch im digitalen Zeitalter tiefgründig zu testen. Davor hatte er jahrelang für das Tech-Blog Gizmodo und die Wired geschrieben. Um das Ganze in Ruhe aufbauen zu können, zieht er nach Hawaii und baut dort eine dicke Medien-Company auf. Das Besondere: Die langen Produkttests will er schon von Beginn an nicht mit Bannern umgeben, er setzt auf Affiliate-Links zu Amazon und anderen Shops – und baut damit den ersten großen Publishing-Player mit einem Affiliate-Geschäftsmodell. Nach eigenen Angaben war die Webseite 2015 für E-Commerce-Verkäufe in Höhe von 150 Millionen US-Dollar verantwortlich. Für Elektronik bekommen Amazon-Partner in den USA zwischen zwei und vier Prozent Provision. Nehmen wir die goldene Mitte (also drei Prozent), käme Wirecutter im letzten Jahr auf einen Affiliate-Umsatz von 4,5 Millionen US-Dollar.
Das Vertrauen der Leser zahlt sich aus
Jason Lam
„Wir verursachen so viele Verkäufe, wie eine Seite die eine zehn Mal größere Reichweite hat“, erzählte Lam kürzlich in einem Interview mit Bloomberg. Ein Team aus 60 Autoren schreibt nur wenige Artikel im Monat, doch die sind unglaublich ausführlich – egal, ob es um ein Notebook oder ein USB-Kabel geht. Insgesamt brauche das Team für jeden Post zwischen 20 und 200 Stunden.
Für nahezu jede Gadget-Kategorie bietet The Wirecutter ein „bestes“ Produkt, das ausführlich getestet wurde. Im jeweiligen Artikel setzt Lam – wie von Affiliates bekannt – mehrere Links zur entsprechenden Produktseite auf Amazon. Die finden sich im Text, in der Randspalte, hinter dem Aufmacher-Bild und als Störer zwischen Absätzen. Außerdem bindet das Wirecutter-Team weitere Produkte der gleichen Kategorie, die sie ebenfalls getestet und für gut befunden haben, ein und verlinkt Amazon oder einen anderen Shop. Laut Lam arbeite er wegen der kurzen Lieferzeit und der guten Kundenbetreuung zu einem großen Teil mit Amazon. Der Online-Händler zahlt je nach Produktkategorie zwischen vier und 15 Prozent des Verkaufspreis an den Affiliate. Besonders clever ist übrigens der internationale Ansatz von Wirecutter: Wer die Seite das erste Mal von außerhalb der USA besucht, wird gebeten, den Amazon-Shop des eigenen Landes anzugeben und wird anschließend immer dorthin geschickt.
So fragt Wirecutter beim ersten Besuch nach dem Amazon-Shop.
Aber warum schafft es Lam mit weniger Nutzern als die Konkurrenz, mehr Verkäufe zu erzeugen? „Die Menschen vertrauen uns. Und wir verdienen uns ihr Vertrauen, weil wir so tief für unsere Artikel recherchieren“, erklärt er Bloomberg. Auf der eigenen Seite zeigt er stolz Beispiele für ganz besondere Testmethoden, wie japanische Köche, die Reiskocher testen, Panzertape-Prüfungen, die Hersteller anschließend kopieren oder ein Fahrraddieb, der Fahrradschlösser mit Brecheisen und Schraubenzieher an ihre Grenzen bringt. Den meisten Platz auf der Seite bekommt dann der Testsieger – das spart den Nutzern Zeit, hilft Wirecutter aber auch bei den Conversions. Meist fällt die Entscheidung bei einer langen Liste an Produkten schwer, durch den Vertrauensvorschuss bringt die Wirecutter-Empfehlung durch die Konzentration auf „das Beste“ um so mehr Klicks.
Zweite Seite – gleiche Idee
Mit The Sweethome hat Brian Lam 2013 eine Schwesterseite für The Wirecutter gegründet. Die bedient sich den gleichen Hebeln nur mit Produkten für das Zuhause wie Messern, Bettdecken und Wandfarben. Die Seite verzeichnet mittlerweile über 2,5 Millionen Visits im Monat. Auf Wirecutter hat Lam eine Spalte von Sweethome integriert und schiebt so Nutzer zwischen den Seiten hin und her. Auch bei Sweethome gibt es nur wenige neue Beiträge im Monat und Lam setzt diese Strategie bewusst gegen die Neuigkeiten-Sucht anderer Publisher. „Wir versprechen die Lautstärke leise zu halten. Weil unsere Seite aus einer Liste aus Dingen besteht, die großartig sind, und nicht aus Dingen, die neu sind, müssen wir nicht so oft neue Beiträge posten wie eine News-Seite, denn der meiste Kram in der Welt ist nicht großartig und deshalb auch nicht wert, darüber zu schreiben“, erklärt Lam in einem Blogpost.
Typisches Affiliate-Angebot auf The Wirecutter.
Insgesamt sehe er im Affiliate-Marketing weniger Interessenskonflikte als bei anderen Werbeformen: „Affiliate erzeugt keine schlimmere Situation als traditionelles Publishing basierend auf Views, weil Publisher immer noch für Werbung neben übertriebenen und teils erlogenen Geschichten bezahlt werden“. Er habe ja gerade durch Affiliate-Marketing das Ziel, bestmöglichen Content zu bieten. „Wenn jemand etwas von unserer Seite kauft und es hasst, bekommen wir gar nichts“, sagt Lam. Schließlich bezahlt Amazon keine Affiliate-Provision, wenn die Käufer ihre Produkte wieder zurück schicken. Seit Kurzem sind allerdings auch zwei bis drei Banner pro Unterseite auf The Wirecutter zu sehen. Das Inventar stellt Lam über Googles Adserver Doubleclick zur Verfügung. „Als eine selbstfinanzierte unabhängige Company versuchen wir immer, unternehmerisch so erfolgreich zu sein wie möglich, sodass wir Reserven nutzen können, um sicher zu sein, zu wachsen und coole neue Sachen für unsere Leser zu bauen“, erklärt Lam dazu gegenüber dem Observer.
Um täglich mehr Bewegung auf der Seite zu haben und so noch mehr Affiliate-Provision zu verdienen, bieten Wirecutter und Sweethome auch das Format „Best Deals“ an. Hier sucht die Redaktion aktuelle Preisknaller bei Amazon raus und listet auch Rabattcodes auf.
Ein Prinzip für große Publisher?
Brian Lam arbeitet mittlerweile mit der New York Times zusammen. In regelmäßigen Abständen postet die Times Artikel des Wirecutter-Teams; das bringt Lam zwar keine Affiliate-Provisionen (die New York Times setzt keine Affiliate-Links) aber immense Reichweite und Glaubwürdigkeit. Und andere große Publisher schielen schon auf das Geschäftsmodell – denn für einige scheint das Wachstumsmaximum erreicht. Laut Similar Web stagniert Buzzfeed etwa unter 300 Millionen Visits weltweit – das ist natürlich ein unglaubliches Niveau, aber Stagnation ist nicht das Ziel von Buzzfeed und den Investoren. Im Februar 2016 startete der Publisher die Facebook-Seite „Buy Me That“, auf der direkt Affiliate-Links zu außergewöhnlichen Produkten oder Links zu Artikeln voll mit Affiliate-Links gepostet werden (z.B.: 19 wunderschöne Produkte, die überraschend beruhigend sind). Die Seite hat über 300.000 Fans.
Visits von Buzzfeed.com in den letzten 12 Monaten. (Quelle: Similar Web)
Auch andere US-Sites wie Gawker, Vox und die Huffington Post experimentieren bereits mit Affiliate-Links. Dazu nutzen sie in den USA das Affiliate-Netzwerk Skimlinks. In Deutschland setzen auch große Publisher vereinzelt Affiliate-Links. Technik-Seiten wie Computerbild oder Chip setzen schon länger auf Partner wie Amazon oder Redcoon. Chip.de hat sogar eine Wirecutter-ähnliche Kategorie namens Schäppchen des Tages. Noch finanzieren sich in Deutschland aber nur Blogs komplett über Affiliate-Links – wenn das Wirecutter-Beispiel Schule macht, könnten aber auch hier große Publisher vermehrt auf das Erlösmodell setzen. Wir sind ja auch so ein bisschen dabei – mit bescheidenem Einsatz und Erfolg allerdings.